Deutsche Gesellschaft für Management und Controlling in der Sozialwirtschaft e.V.

FINSOZ e.V. – Positionspapier BTHG

BTHG novellieren – Chancen der Digitalisierung nutzen 

Das Bundesteilhabegesetz hat während seiner Entstehung und nach seinem Inkrafttreten zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Im Mittelpunkt standen Fragen zum Anspruchs- und Leistungsumfang, zur Finanzierung, zur Abgrenzung von anderen Leistungsgesetzen und generell darüber, ob das Gesetz geeignet ist, die Zielsetzung der Inklusion zu verwirklichen (vgl. König/Wolf, 2017).

Über diesen Diskussionen wurde von allen beteiligten Akteuren jedoch völlig vernachlässigt, dass dieses Gesetz zu einer Zeit entstand und in Kraft tritt, die ganz wesentlich vom Megatrend der digitalen Transformation in allen Bereichen unserer Gesellschaft geprägt ist. Während die Bundesregierung ebenso wie die Länder über unterschiedliche Ministerien Milliardenbeträge in die Förderung des digitalen Wandels in Wirtschaft, Bildung, Forschung und Gesundheitswesen investieren, blendet das im Bundes- ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) entstandene BTHG und die bislang damit verbundenen Fachdiskussionen den digitalen Wandel fast vollständig aus.

Dies in zweierlei Hinsicht:

Zum einen im Hinblick auf den Anspruch auf digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.

Zum anderen in Bezug auf die Digitalisierung der Transaktionsbeziehungen zwischen Leistungsträgern, Leistungserbringern und Leistungsempfängern.

Der Teilhabebegriff kann in einer mit Internet, Mobile Computing und smarten Technologien immer stärker durchdrungenen Welt (vgl. FINSOZ, 2017) nicht mehr ohne Digitalisierung gedacht werden. Denn gerade diese Technologien bergen ein erhebliches Potenzial, die Autonomie und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinde-rungen zu fördern. Da es mit dem BTHG aber dem Zufall überlassen bleibt, ob es entsprechende Angebote geben wird und ihre Finanzierung nicht explizit vorgesehen ist, sehen wir als Fachverband IT in der Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung die Zielsetzung der Inklusion im Hinblick auf Teilhabe in der digitalen Gesellschaft durch das BTHG nicht hinreichend verwirklicht.

Dies gilt insbesondere auch für die Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung durch eine digital gestützte Auswahl, Buchung und Verrechnung von Teilhabeleis- tungen. Da eine solche im Gesetz bislang nicht einmal perspektivisch vorgesehen ist, wird eine Chance auf mehr Transparenz für alle Beteiligten vergeben.

Ebenso wird mit dem BTHG die Chance vertan, Verwaltungskosten in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr einzusparen. Dies ist umso erstaunlicher, als das BMAS selbst von einer „Effizienzrendite“ durch das Gesetz in Höhe von rund 100 Millionen Euro bis 2020 ausgeht (BMAS 2016, 40f). Durch die begrüßenswerte Stärkung der Souveränität und Wahlmöglichkeiten der Betroffenen wird die Komplexität der Koordination und des Informations-austausches zwischen allen Akteuren deutlich ansteigen. Mit der Orientierung der Leistungsplanung am individuellen Bedarf und der Ausrichtung auf personenzentrierte statt bisher einrichtungszentrierte Leistungen werden künftig vermehrt kleinere Leistungspakete von spezialisierten Leistungserbringern erbracht werden.

Da das BTHG weder bundesweit geltende prozessuale Standards noch ein einheitliches IT-Verfahren vorsieht, werden die heute schon immensen Papierberge und damit die Verwaltungskosten nochmals weiter ansteigen. In einer Zeit, in der es längst etablierte und sichere technische Verfahren gibt, die auch in anderen gesetzlichen Regelungsbereichen wie der Finanzverwaltung oder Sozialversicherung genutzt werden, kann dies nur als Anachronismus und eklatante Verschwendung öffentlicher Mittel bezeichnet werden, die den eigentlichen Hilfen für Betroffene entzogen werden.

Hier ist der Gesetzgeber dringend gefordert, durch bundeseinheitliche Standards und Einführung elektronischer Verfahren die Effizienz, Prozesssicherheit und Qualität der Transaktionen zu steigern.

Doch statt einer gesetzlichen Förderung der Arbeitseffizienz und Qualität auf Seiten der Leistungserbringer, etwa durch Anreize zum Einsatz professioneller IT-Konfigurati- onen, werden öffentliche Kontrollmechanismen verstärkt und somit der Bürokratieaufwand weiter erhöht.

Dabei zeigen viele andere Branchen, wie moderne prozessorientierte IT eine schnelle, flexible und kundenfreundliche Leistungserbringung wesentlich unterstützen kann. Außerdem vereinfacht ein medienbruchfreier Informationsfluss zwischen den Akteuren die Messung von Wirkungen.

Insbesondere kleinere und mittelgroße Träger verfügen jedoch nicht über genügend Eigenmittel, um professionelle IT-Systeme kompetent auszuwählen, einzuführen und zu nutzen. Auch hier ist dringender Handlungsbedarf angesagt, um allen Leistungserbringern den Weg in die Digitalisierung zu ebnen.

Quellen:

BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2016): Häufige Fragen zum Bundesteilhabegesetz (BTHG), Stand: 4. Juli 2016, FINSOZ e.V. (2017): Positionspapier Digitalisierung der Sozialwirtschaft. 2. überarbeitete Auflage Berlin.

König, Markus / Wolf, Björn (2017): Steuerung in der Behindertenhilfe. Das Bundesteilhabegesetz und seine Folgen. Berlin.

© FINSOZ e.V. 2017

Sollten Sie Fragen oder Anregungen zu dem Artikel haben, können Sie diese an info@finsoz.de richten.

zur FINSOZ:

Der Fachverband FINSOZ fordert daher eine zügige Novellierung des Bundesteilhabegesetzes, welche die Chancen der Digitalisierung für alle beteiligten Interessensgruppen aktiv nutzt. Dazu ist eine intensive Beteiligung von Betroffenen, Leistungsträgern und Leistungserbringern, Verwaltung sowie einschlägigen Fachleuten mit Technik- und Prozesskenntnissen aus IT-Fachverbänden und Industrie erforderlich.

Eine pdf-Datei des Artikels können Sie hier direkt über die Website des FINSOZ e.V. herunterladen.


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