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Rahmenvereinbarungen nach dem BTHG – Zwölf Überlegungen zur Gestaltung

Das neue Bundesteilhabegesetz stellt einen Systemwechsel in der Eingliederungshilfe dar. Es stellt die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt und ist die deutsche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Insofern ist das Gesetz ein großer Schritt für Menschen mit Behinderung. Er muss allerdings von allen Beteiligten gegangen werden.

Für das deutsche Sozialsystem prägend ist die Partnerschaft zwischen öffentlichen und privaten Trägern, und diese Partnerschaft ist jetzt mit der Verhandlung der neuen Rahmenvereinbarungen bis 31. Dezember 2019 gefordert. Hier erfolgen die entscheidenden Schritte bei der Umsetzung in das Sozialleistungssystem.

Der Gesetzgeber konnte mit dem BTHG nicht gelebte Praxis – bestenfalls hatte er einzelne Modellprojekte vor Augen – rechtlich kodifizieren, sondern hat ein Zukunftssystem in groben Linien entworfen. Insofern ist für Leistungsträger und Leistungserbringer der „Systemwechsel“ derzeit noch eine Projektionsfläche von Gestaltungsideen und Sorgen, nicht nur zwischen den Verhandlungsparteien, sondern auch innerhalb der Parteien. Die Gestaltungsideen in Richtung Selbstbestimmung, Personenzentrierung, Teilhabe treffen auf Bestandssorgen, Sorgen um funktionierende Verwaltungsprozesse, Veränderung der Arbeitsbedingungen (Personal), Mengenexpansion (Leistungsträger) oder Einsparungen (Leistungserbringer).

In manchen Ländern können die Verhandlungspartner bereits auf einen gewissen Vorbereitungsgrad aufbauen, in anderen müssen die für die Umsetzung erforderlichen Systemkomponenten erst noch entwickelt werden. In beiden Fällen sind die Bedingungen eines flächendeckenden Roll-Outs der Systeme noch nicht bekannt. Vereinbart werden muss also eine Zukunft, deren Praxis eben erst in groben Zügen erkennbar ist – stellen wir uns vor, wir hätten in den 1970er-Jahren die Gestaltung des Internet gesetzlich regeln wollen.

In diesem Beitrag sollen einige Überlegungen zu Rahmenvereinbarungen nach dem BTHG angestellt werden. Die Überlegungen erfolgen auf der Basis der Beschäftigung mit Modellprojekten[1]und orientieren sich an der Basis einer praktikablen Umsetzbarkeit in einem weiter entwickelten Leistungssystem. Sie stammen von einem Ökonomen und haben nicht den Anspruch sozial- oder vertragsrechtlicher Präzision.

1.        Den Rahmenvertrag dynamisch gestalten

Rahmenverträge haben in der Praxis der Sozialgesetze bislang immer den Charakter einer sehr langfristigen Fixierung von Leistungssystemen und Vergütungen. In Bundesländern mit erprobten Systemen können hier schnell präzise Umsetzungsmöglichkeiten vereinbart werden. In anderen müssen erst Lern- und Entwicklungsprozesse durchlaufen werden, sodass bis zum 31. Dezember 2019 (wenn die Rahmenvereinbarungen abgeschlossen sein müssen) entweder eher strukturkonservierende Systeme vermutlich eher strukturkonservierende Systeme vereinbart werden. Im Hinblick auf eine Entwicklungsfähigkeit des Systems erscheint es daher sinnvoll, die Rahmenverträge dynamisch zu gestalten und nicht ein festes, endgültiges System zu beschreiben, sondern die Entwicklungsschritte und –stufen.

Im ersten Schritt könnte dies z.B. dadurch geschehen, dass der grundsätzliche Einstieg in das BTHG durch die Formulierung von Eckpunkten kodifiziert wird, ohne deren Realisierung die Forderung nach Selbstbestimmung ins Leere läuft. Dazu gehören aus Sicht des Autors insbesondere die Auflösung der Grenzen zwischen ambulant und stationär, ein neues ICF-Bedarfsermittlungsinstrument sowie ein (stärker) personenzentriertes Vergütungssystem.

Ergänzend könnten weitere Entwicklungsschritte vereinbart werden.

Hierfür sind drei Modi denkbar:

  • Es werden die 2019 vereinbarten Regelungen mit einem festen Verfallsdatum versehen, zu dem neu verhandelt werden muss und die dann bekannte Praxis in die neuen Rahmenvereinbarungen aufgenommen werden können (sunset legislation).
  • Es werden Entwicklungsziele vereinbart und Vereinbarungen über die Wege zur Entwicklung und Erprobung von Instrumenten und Prozessen getroffen, die dann Gegenstand der Rahmenvereinbarung werden. Dies könnte jetzt bereits vereinbart werden.
  • Es wird ein Stufensystem eingeführt, das den Entwicklungspfad auch schon inhaltlich beschreibt und mit Fristen versieht.

 

Themen, die sich für solche Vereinbarungen eignen, sind insbesondere

  • das System der Bedarfsermittlung nach ICF,
  • das personenzentrierte Vergütungssystem,
  • die inhaltliche Definition von Leistungen und
  • der Gegenstand von Wirksamkeit.

 

Mit diesen Vereinbarungen könnten bereits Ende 2019 Rahmenverträge geschlossen werden, die nicht nur eine unter Unsicherheit (und deshalb vorsichtig) formulierte Vertragslösung für lange Zeit normieren, sondern auch längerfristig Entwicklung ermöglichen.

2.        Bedarfsfeststellung

Die Ausrichtung an Selbstbestimmung, Inklusion und individuellem Teilhabewunsch sollte in der allgemeinen Leistungsbeschreibung des Rahmenvertragswerks so formuliert werden, dass sich hieraus die Ziele für die konkreten Leistungen der Leistungsanbieter ableiten lassen. Dies kann zunächst in Form einer allgemeinen deklaratorischen Forderung erfolgen. Es sollte dann aber dargelegt werden, mit welchem Instrument der Teilhabewunsch und die daraus abgeleiteten Leistungen konkretisiert werden. Dies kann durch einen allgemeinen Verweis auf ein bereits eingesetztes ICF-basierendes Instrument erfolgen.

Aus pragmatischen Gründen könnte in Regionen, die noch keine Erfahrung mit ICF-basierten Instrumenten haben, eine Stufenregelung vereinbart werden, die folgende Inhalte hat:

  1. Vereinbarung der Anforderungen an ein zu entwickelndes oder zu adaptierendes Instrument (Orientierung am individuellen Teilhabewunsch, Berücksichtigung der individuellen Lebenssituation und Ressourcen, personenzentrierter Leistungsplan),
  2. Vereinbarung über die Entwicklung eines neuen Instrumentariums und
  3. Festlegung eines konkreten Termins für dessen Einführung.

 

Die Definition von Hilfebedarfsgruppen im Rahmen einer personenzentrierten Leistung ist nicht sinnvoll, da eben nicht der Hilfebedarf, sondern der Teilhabewunsch im Mittelpunkt steht und Hilfebedarfsgruppen eben den Blick auf den individuellen Bedarf zumindest wieder abschwächen.

3.        Gliederung der Angebote

Die Definition von Leistungstypen ist zwar ein hilfreiches Kategoriensystem zum Verständnis einer Angebotsstruktur. Im Zuge der individuellen Planung werden die Leistungsempfänger/innen aber nicht mehr eindeutig zuzuordnen sein. Im Übrigen ist es auch für die Leistungsanbieter wenig hilfreich, sich nur auf einen Leistungstyp zu konzentrieren. Wohnen und Lebenshaltung (Existenzsicherung) sind künftig nicht mehr Bestandteil der Leistungen – insofern laufen die bisherigen Leistungstypen ohnehin zum Teil in die Leere.

Sinnvoller ist vielmehr eine inhaltliche Untergliederung der Angebote bzw. des Bedarfs, die zu mehr Transparenz führt, und nicht zur eindeutigen Zuordnung von Anbietern oder Leistungsberechtigten zu einer Gruppe. Eine solche inhaltliche Untergliederung kann z.B. aus den neun Aktivitäten und Teilhabebereichen des ICF oder den Leistungsbereichen der verschiedenen Gesamtplanverfahren (wie Umgang mit den Auswirkungen der Behinderung, Persönliche und soziale Beziehungen, Alltagsbewältigung, Teilhabe an Arbeit, Freizeit) abgeleitet werden.

4.        Personenzentrierte Vergütung

Das konsequente Gegenstück zu einer individuellen Bedarfseinstufung ist die personenzentrierte Vergütung. Jede einheitliche Pauschalvergütung führt entweder zu einem standardisierten Leistungsangebot (wenn sich die Leistung an der Vergütung orientiert) oder zu einer Über- oder Unterfinanzierung im Einzelfall, also einer Quersubventionierung der Leistungsberechtigten untereinander.

Der Einstieg in ein solches personenzentriertes Vergütungsmodell kann durch die Definition von Leistungsstunden für individuelle Assistenzleistungen gelingen, die durch Pauschalsätze für bestimmte Basisleistungen ergänzt werden kann. Auch hier empfiehlt sich für die Regionen, die einen niedrigen Vorbereitungsgrad haben, eine Einstiegslösung zu vereinbaren, bei der im ersten Schritt Leistungsstunden „Qualifizierte Assistenz“ und „Assistenz“ die bisherige Maßnahmepauschale ersetzen, verbunden mit einem Entwicklungsauftrag für ein weiterführendes Modell.

Zu klären ist in diesem Zusammenhang auch, ob die personenzentrierte Vergütung auch zu einem Einzelleistungsnachweis führen soll. Hierdurch entsteht ein sehr hoher bürokratischer Aufwand bei der Erfassung und der späteren Überprüfung. Einfacher wäre hier, die Vergütung für die Bewilligungsdauer ohne Nachweis zu gewähren, dann aber eine Überprüfung der Ergebnisqualität einzufordern. Im Gegenzug sollten Anträge auf Leistungserhöhungen während der Bewilligungsdauer nur in Sonderfällen möglich sein.

5.        Umgang mit Abwesenheiten und Risiken

Ein Merkmal von Selbstbestimmung ist auch die Nicht-Inanspruchnahme im Einzelfall. Bislang fallen einzelne Nicht-Inanspruchnahmen speziell in den stationären Einrichtungen nur dann auf, wenn diese mit der Abwesenheit aus der Einrichtung verbunden sind. Bei einer stärkeren Personenzentrierung werden die wegen Abwesenheiten nicht erbrachten Leistungen viel stärker ins Gewicht fallen.

Bisher finden sich in den Rahmenvereinbarungen Regelungen zu Platzfreihaltevergütungen. Diese sind durch generelle Regelungen zur Nicht-Inanspruchnahme zu ersetzen. Dabei ist entweder ein Risikozuschlag für die Aufrechterhaltung nicht abgerufener Leistungen vorzusehen oder eine Vergütung von nicht in Anspruch genommener Leistungen über einen gewissen Zeitraum. Eine solche Regelung ist nicht erforderlich, wenn keine Einzelleistungsnachweise angefordert werden.

Generell ändern sich durch eine stärkere Personenzentrierung die Planbarkeit und Steuerbarkeit der Leistungen durch die Leistungserbringerseite. Es werden nicht mehr ganze Pakete inklusive Vorhaltekosten abgerechnet, sondern kleinere Einheiten in weniger planbaren Abständen.

Dies ist durch das Gesetz ja gerade so gewollt, aber es muss nun über das damit verbundene Risiko verhandelt werden. Jeder Dienstleister kalkuliert Vorhaltekosten, entweder direkt in Form von Risikozuschlägen oder aber indirekt in Form von Festbuchungen. Dieser Umgang mit Vorhaltekosten und nicht abgerufenen Leistungskapazitäten ist in einer Rahmenvereinbarung nach dem BTHG deutlicher abzubilden.

6.        Leistungsvereinbarungen und Leistungsausschlüsse

Die bisherigen Leistungsvereinbarungen zwischen Leistungsanbieter und Leistungsträger werden im Rahmen des BTHG ihren Charakter verändern. Es wird ausführliche individuelle Leistungsvereinbarungen geben müssen, die a) die zu erreichenden Leistungsziele (die sich aus den Teilhabewünschen ableiten), b) die damit verbundenen Maßnahmen und c) die entsprechende Vergütung umfassen. Möglicherweise können hier die vorliegenden Gesamtpläne – ergänzt um konkrete Ziele, vereinbarte Maßnahmen und damit verbundene Leistungen – weiterentwickelt werden. Die Arbeit eines Leistungsanbieters wird dann an der Erfüllung dieser individuellen Leistungsvereinbarungen gemessen.

In die Rahmenvereinbarungen sollte klargestellt werden, dass jeder Leistungsanbieter zunächst nur für seinen Leistungsbereich und die hier vereinbarten Ziele zuständig ist. Eine umfassende Verantwortung („Garantenstellung“ o.ä.) ist nicht möglich. Allerdings sollten in die Rahmenvereinbarung Regelungen für Ausnahme- und Notfälle, gegenseitige Unterstützung verschiedener Leistungsanbieter sowie Pflichten zum Zusammenwirken aufgenommen werden. Perspektivisch könnte es sinnvoll sein, auch eine Schiedsstelle für Streitigkeiten zwischen Leistungsanbietern einzurichten.

7.        Trennung von existenzsichernden Leistungen und Fachleistungen nachvollziehen

Durch die im BTHG vorgesehene Trennung von existenzsichernden Leistungen und Fachleistungen wird es beim künftigen gemeinschaftlichen Wohnen auch zwei Geschäftsbereiche geben. Die bisherigen Rahmenvereinbarungen folgen einer sozialleistungsrechtlichen Logik und sind für den Bereich der Fachleistungen geeignet. Wohnen und die Existenzsicherung (also letztlich der von Grundsicherung gedeckte Bedarf) gehören nicht in diese Rahmenvereinbarung.

Bei der Umwandlung von stationären Einrichtungen in diesem Sinne sind folgende spezifische Probleme zu regeln:

  • die Zuordnung von Flächen zu Wohnen einerseits, Fachleistung und Organisation andererseits;
  • die Behandlung von Mehrkosten, die aus der Anwendung der nach wie vor gültigen Heimgesetze resultieren;
  • der Umgang mit Assistenzleistungen aus Küche und Hauswirtschaft, die im Regelfall ja einen behinderungsbedingten Nachteilsausgleich darstellen und nicht der Grundsicherung zuzuordnen sind (wie etwa ein Restaurantbesuch).

 

In diesem Zusammenhang ist vor einer reinen Trennungsrechnung zwischen Existenzsicherung und Fachleistung bei bisher stationären Anbietern zu warnen. Dies mag sehr kurzfristig praktikabel sein. Perspektivisch ist jedoch mit dem Angebot von Wohnen und Lebenshaltung durch den Leistungserbringer eben ein besonderer, zusätzlicher Aufwand verbunden. Er wird eben auch Vermieter oder Verkäufer von Lebensmitteln etc. mit anderen als den bisherigen Anforderungen.

8.        Regelungen zur Strukturqualität

In einer Rahmenvereinbarung nach dem BTHG werden sich die Anforderungen an die Strukturqualität wandeln müssen. Personalschlüssel und Fachkraftquoten für den Bereich der Assistenz sind nicht mehr erforderlich. Diese quantitativen Vorgaben ergeben sich automatisch aus der individuellen Bedarfseinstufung. An dieser Stelle hat möglicherweise auch der Gesetzgeber die Konsequenzen seines Gesetzes zu Ende gedacht. In § 124 Abs. 2 SGB IX findet sich ein Verweis auf „eine entsprechende Anzahl von Fachkräften“, ebenso in § 125 Abs. 2 Punkt 4. Allerdings wird es dafür keine Bezugsgröße mehr geben. Eine solche mengenmäßige Festlegung ist eher eine Einschränkung des Geschäftsumfangs (es können nicht mehr Leistungsstunden erbracht werden) des Leistungsanbieters und damit seiner Freiheitsgrade. Um dem Gesetz dennoch Genüge zu tun, sollte hier eine dynamische Formulierung gefunden werden, also z.B. „je 1.300 Leistungsstunden qualifizierte Assistenz wird eine Fachkraft beschäftigt“.

Auch Betreuungszeiten haben dann künftig nicht mehr den Charakter einer Leistungsvorgabe, sondern eines Leistungsangebots, das im Einzelfall abgerufen wird.

Ansonsten sollte sich die Strukturqualität an den qualitativen Vorgaben orientieren, also z.B. Definition von Fachkräften, Ausbildungsstand, Transparenz des Angebots und der Prozesse, räumliche Ausstattung.

9.        Verwaltungs- und Steuerungskosten

Durch das neue BTHG entstehen verschiedene neue Aufgaben für alle Beteiligten, so beispielsweise

  • die ICF-basierende Bedarfseinschätzung;
  • die stärker individuelle Leistungsplanung;
  • die Durchführung, Teilnahme und Vorbereitung von Personenkonferenzen;
  • die Umstellung der Steuerung der Dienstleistungskapazitäten;
  • das Vertragsmanagement und die Abrechnung kleinerer Leistungseinheiten.

 

Diese Aufgaben sind betriebswirtschaftlich keine Überraschung und sind in ähnlicher Form in anderen Wirtschaftsbereichen bekannt. Diese Verwaltungs- und Steuerungskosten hängen jedoch mit den Fällen, nicht mit dem Umfang der Leistung innerhalb eines Falls zusammen. Würden Verwaltungs- und Steuerungskosten als Zuschlag vereinbart, werden kleine Aufträge weniger attraktiv mit der Folge einer Kundenselektion und einem erschwerten Leistungsbezug für diese Menschen mit Behinderung. Insbesondere in Regionen mit niedriger Leistungserbringerdichte kann dies wirksam werden.

In einer neuen Rahmenvereinbarung ist daher grundsätzlich eine Regelung zu treffen, wie die Kundenselektion vermieden werden soll. Dies kann geschehen durch Elemente pauschaler Vergütungsbestandteile oder aber durch die Vereinbarung eines festen Kundenmix (also eine Art „Huckepackverfahren“ mit z.B. zwei Leistungsbeziehern mit intensivem Bedarf und einem mit weniger intensivem Bedarf). Dies würde allerdings Wahlfreiheit und Personenzentrierung einschränken und vermutlich der bisher üblichen Klausel und der Regelung in § 123 Abs. 3 SGB IX, dass kein Leistungsberechtigter abgelehnt werden kann, widersprechen.

10.     Wirksamkeit nicht wegdeklinieren

Die Wirksamkeit, die durch das BTHG nun Einzug ins Gesetz fand, ist ein schwieriges Thema. Immer noch ist die Diskussion nicht beendet, ob Wirkung im Sozialbereich überhaupt messbar ist. Es wäre traurig, wenn das nicht der Fall wäre, denn dann wäre der Professionalisierungsgrad der Sozialen Arbeit auf ewig auf dem Niveau der Traditionellen Chinesischen Medizin eingefroren. Der Autor ist hier eher optimistisch, denn es gibt Instrumente zur Wirkungsdokumentation, allerdings nicht im flächendeckenden Regelbetrieb (der Autor nimmt hier gerne sachdienliche Hinweise entgegen).

Durch das BTHG und die stärker individuelle Steuerung könnte aber die Versuchung entstehen, die Dokumentationspflichten zu erhöhen. Weiterhin ist die Überprüfung der Wirksamkeit nicht Gegenstand von Vereinbarungen, sondern ein eigenes gesetzliches Prüfrecht.

Beides spricht dafür, in die Rahmenvereinbarungen frühzeitig ein gemeinsames Verständnis von Wirksamkeit aufzunehmen und damit auch die Überprüfung von Wirtschaftlichkeit besser zu gestalten. Auch hier wird es Ende 2019 in den meisten Verhandlungsrunden noch kein Ergebnis geben, daher ist auch dieser Themenbereich möglicher Gegenstand für eine Entwicklungsvereinbarung.

11.     Umgang mit neuen Anbietern

Mit dem BTHG wird das Spektrum der Leistungsanbieter grundsätzlich erweitert. Für den Bereich Arbeit werden „andere Anbieter“ zugelassen, für die soziale Teilhabe werden sicherlich auch stärker sozialräumliche Angebote mit einbezogen.

Dies stellt eine Grundsatzanfrage an die Rahmenvereinbarungen: Bislang gehen die Rahmenvereinbarungen immer von einem weitgehend abgegrenzten Anbieterkreis aus dem Bereich der Sozialwirtschaft aus, andere Anbieter sind eher eine Randerscheinung. Nun könnten die Grenzen jedoch fließend werden. Hier stellt sich die Frage, ob andere Anbieter in eine solche Rahmenvereinbarung eintreten müssen oder aber wie hier Vereinbarungen zustande kommen müssen.

Bei einer Rahmenvereinbarung sollte daher ein Passus aufgenommen werden, der eine Analogie der „Meistbegünstigungsklausel“ des internationalen Handelsrechts darstellt: Beide Parteien sagen zu, dass sie keinem anderen Anbieter bzw. Auftraggeber bessere Bedingungen bieten als den Vertragspartnern der Rahmenvereinbarung. Damit kann sichergestellt werden, dass z.B. an Anbieter innerhalb der Rahmenvereinbarungen höhere Qualitätsanforderungen gestellt werden als an „andere Anbieter“. Andernfalls würde hier eine unfaire Wettbewerbsverzerrung entstehen.

12.     Der Leistungsberechtigte als Akteur

Der Leistungsberechtigte ist in dem Rahmenvertragswerk zwischen Leistungsanbieter und Leistungsträger naturgemäß keine Partei. Allerdings sollte allen Beteiligten klar sein: Durch den selbstbestimmten Mensch mit Behinderung kommt ein neuer Akteur ins Spiel. Das Rahmenvertragswerk kann insofern nicht Angebote, Strukturen oder Träger absichern und festschreiben. Denn der Leistungsberechtigte wird sich sein Recht auf Selbstbestimmung, Wahlfreiheit und Personenzentrierung verschaffen – mit den Füßen oder vor Gericht.

Es ist insofern sinnvoll, das Rahmenvertragswerk auf eine breite Verständigungsbasis auch in fachlich-inhaltlicher Sicht zu stellen (und hier können die Leistungsberechtigten beteiligt werden). Insofern empfiehlt sich, frühzeitig durch gemeinsame fachlich-inhaltliche Arbeitsgruppen, z.B. über das Bedarfsfeststellungsinstrument miteinander in Austausch zu kommen.

Ein Kernmerkmal der Akteure in der Sozialwirtschaft ist die Orientierung an einem inhaltlichen Ziel, in diesem Fall der verbesserten Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Dieses Ziel sollten die Leistungsträger und die Leistungserbringer – zumindest im Bereich der ideell motivierten Träger – teilen können. Vielleicht kann durch den fachlich-inhaltlichen Austausch auch wieder ein solches Grundvertrauen entstehen, das auch die künftig notwendigen Entwicklungsschritte erleichtert und vielleicht mancher vertraglichen Regelung den Schrecken nimmt.

[1]So liegt beispielsweise beim Bezirk Mittelfranken ein fertiges Rahmenvertragswerk aus dem Modellprojekt Leistungsmodule vor.


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