Ein Beitrag von Stephan Löwenhaupt, xit GmbH
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Ausgangssituation: BTHG
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist verabschiedet und bringt einige grundlegende Neuerungen mit sich. Unter anderem sollen Leistungen der neu formatierten Eingliederungshilfe passgenau bei den Betroffenen ankommen sowie sparsam und wirtschaftlich erbracht werden. Deshalb sollen auch die Steuerungsmöglichkeiten der Leistungsträger gegenüber den Leistungserbringern gestärkt werden. Hierzu erhält der Leistungsträger zukünftig ein Prüfungsrecht und die Leistungserbringer werden einer Wirkungskontrolle unterzogen. Wirkung lässt sich dann nicht mehr behaupten, sie muss nachgewiesen werden!
Damit wechselt die Perspektive der Geldgeber sozialer Dienstleistungen vom klassischen Kostenträger zum sozialen Investor, der sich nicht mehr nur für die Rechtmäßig- und Bedarfsgerechtigkeit des Mitteleinsatzes, sondern insbesondere auch für die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel interessiert. Diese neue Perspektive stellt die Geschäftsführungen und Vorstände sozialer Dienstleistungsunternehmen sowie die Kostenträger vor die Herausforderung, die bisher dominierende Steuerung qualitätsrelevanter Potenzialfaktoren (Personal, Räume, Angebote, Plätze/Betten etc.) durch eine Wirkungsorientierung zu ergänzen. Um dieser Herausforderung gewachsen zu sein, haben das Sozialwerk St. Georg und die xit GmbH ein wirkungsorientiertes Controlling entwickelt, das nachfolgend vorgestellt wird.
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Wirkungsorientiertes Controlling (WoC) und Wirkungsmessung
Das Thema Wirkungsmessung und Wirkungscontrolling ist in der Sozialwirtschaft von grundsätzlicher Bedeutung. Die Allokation öffentlicher Mittel unter Wettbewerbsbedingungen führt zwangsläufig zur Frage, welche Konzepte und Angebotssettings besonders wirksam sind und für die Zielgruppe eines Angebots einen besonders hohen Nutzen, z.B. in Form von Lebensqualität oder Teilhabe, stiften. Die Antwort auf diese Frage interessiert nicht nur Kostenträger, Spender, Sponsoren, Zuwendungsgeber und Investoren (z.B. Social Impact Bonds), sondern vor allem auch die Politik, Angehörige von Menschen, die in sozialen Organisationen betreut werden, Steuerzahler und insbesondere: die Leistungsempfänger selbst.
Soziale Organisationen und die öffentliche Hand benötigen deshalb Instrumente, mit deren Hilfe sie ihre fachliche Wirksamkeit kontinuierlich beobachten und steuern – also controllen – können. In der Regel verfügen Soziale Organisationen heute über „klassische“ betriebs- und personalwirtschaftliche sowie leistungsbezogene Controlling-Daten (z.B. Fallzahlen, abgerechnete Leistungstage und Fachleistungsstunden). Das Kerngeschäft sozialer Dienstleistungen, nämlich ihre soziale Wirkung bei den Zielgruppen wird vom Controlling vielfach aber nicht oder nur rudimentär erfasst. Wirkungscontrolling erfordert somit einen Perspektivenwechsel: die Frage des klassischen Controllings nach der innerorganisatorischen Effizienz (Gegenüberstellung von Input und Output) wird durch die Perspektive der Effektivität einer Organisation bei ihren Anspruchsgruppen ergänzt (vgl. Moos et al. 2011, 1).
Die Wirkungen sozialer Organisationen lassen sich in monetäre (z. B. Transferströme zwischen öffentlicher Hand und Einrichtungen bzw. Personen, Opportunitätserträge, regionalökonomische Effekte) und nicht-monetäre Wirkungen unterscheiden. Für das wirkungsorientierte Controlling sind die nicht-monetären Wirkungen von besonderer Bedeutung, die z.B. über Konzepte wie Lebensqualität, Teilhabe, Alltagsoptionen, Integration oder Produzentenstolz (im Bereich Arbeit) operationalisiert werden. Im Rahmen des wirkungsorientierten Controllings werden diese nicht-monetären Wirkungen, z.B. Lebensqualität, als abhängige Variablen betrachtet, die durch Input- oder Produktionsfaktoren (Personalmengen, Führungsmenge, Geldmengen, Know-how und Motivation der Mitarbeiter, sachliche Ausstattung, Konzepte etc.) beeinflusst werden.
Um diese Effekte ermitteln zu können, werden Informationen des klassischen Controllings mit Informationen des fachlichen Controllings systematisch verknüpft. Wirkungscontrolling zielt somit darauf ab, die mit den verfügbaren Ressourcen hergestellten nicht-monetären Wirkungen einer sozialen Organisation zu erfassen und genau diejenige Wirkungsmenge zu ermitteln, die ohne die soziale Einrichtung nicht entstanden wäre. Denn genau dieser Teil der Wirkung ist über das Controlling steuer- und überprüfbar. Um die nicht-monetären Wirkungen einer sozialen Organisation messen und controllen zu können, müssen einige Voraussetzungen gegeben sein:
- Klarheit über die relevanten, erwarteten Wirkung einer sozialen Dienstleistung (insbesondere, wenn die Wirksamkeit an Entgelte gekoppelt wird)
- Beeinflussbarkeit der Wirkungen durch die Organisation
- Wissen über die Kausalität von Faktoren, die die Wirkungen eines Sozialen Angebots beeinflussen
- Passgenauigkeit Angebot/Maßnahme und individuelle Voraussetzungen von Klienten
- Konsens über die Reichweite von Wirkungen sozialer Dienstleistungen (zeitlich und inhaltlich).
- Valide und reliable Messinstrumente
- Definition von SOLL-Werten für die erwartete Wirkung
Letztlich ist für das Wirkungscontrolling ein Modell erforderlich, mit dessen Hilfe berechnet werden kann, welcher Anteil an Lebensqualität und Teilhabe durch die Einrichtung beeinflussbar ist. Aus diesem Modell müssen sich qualifizierte Erwartungs- oder Prognosewerte (Soll-Werte) ableiten lassen, denn ohne diese Prognosefähigkeit bleibt wirkungsorientiertes Controlling stumpf. Zu wissen, wie sich Lebensqualität und Teilhabechancen von Menschen mit Assistenzbedarf im Ist darstellen, ist interessant; noch interessanter ist aber, welches Maß an Lebensqualität und Teilhabechancen „im Normalfall“ zu erwarten wäre. Denn über das Verhältnis von Soll- zu Ist-Produktivität kann ermittelt werden, ob ein sozialer Dienstleister auf der Basis bekannter Einflussfaktoren die erwartbaren Wirkungswerte über- oder unterschreitet. Das wirkungsorientierte Controlling gibt somit einen Hinweis darauf, bei welchen Angeboten und Diensten überprüft werden sollte, warum die Lebensqualität der Klientinnen und Klienten geringer ist, als zu erwarten wäre.
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Praktische Erfahrungen
Erste empirische Erfahrungen zeigen, dass die beschriebenen Anforderungen gemeistert werden können. So liegen inzwischen für einige Arbeitsfelder Instrumenten vor, die als methodisch abgesichert (valide und reliabel) gelten können und die Bildung von Prognosewerten erlauben. Hierzu zählen z.B. die Personal Outcome Scale (POS) und der Social Return on Investment, dem das TUBA-Konzept[1] zugrunde liegt (SROI 5 / TUBA).
Im Rahmen eines Projekts beim Sozialwerk St. Georg wurden z.B. POS-Daten von rund 1.340 Klientinnen und Klienten in stationären Wohnsettings (Kerneinrichtung und Außenwohnbereich (AWB)) analysiert und für ein Wirkungscontrolling aufbereitet. Neben den Lebensqualitätsdaten wurden für die Klientinnen und Klienten auch einige soziodemographische und strukturelle Merkmale erhoben und kontrolliert. Auf Basis dieser Daten lässt sich erkennen,
- ob die Lebensqualität unabhängig von soziodemographischen und strukturellen Merkmalen ist,
- welchen Teil der Lebensqualität das Sozialwerk St. Georg beeinflussen kann,
- ob es möglich ist, POS-Erwartungswerte zu ermitteln und wie die prognostizierten und die tatsächlichen POS-Werte voneinander abweichen sowie
- welche Effekte die Leitungskräfte für die Lebensqualität von Menschen in Einrichtungen des Sozialwerk St. Georg erreichen, die vor Ort für die Steuerung des Personaleinsatzes, die Kommunikation etc. verantwortlich sind.
Die POS-Werte bilden im Modell also die abhängige Variable, deren Ausprägungen durch verschiedene unabhängige Merkmale erklärt werden soll. Dabei wurde (mittels linearer Regression) in einem ersten Schritt geprüft, ob soziodemographische und strukturelle Merkmale einen signifikanten Einfluss auf die Höhe des POS-Wertes haben. Wenn auf Basis der Regressionsergebnisse bekannt ist, welche Effekte soziodemographische und strukturelle Merkmale auf die Lebensqualitätswerte haben, können in einem zweiten Schritt auch die Werte für die abhängige Variable – hier der POS-Wert – für jede Klientin und jeden Klienten geschätzt werden, für den noch kein POS-Wert vorliegt. Hierfür werden die für die analysierten Merkmale (Alter, Geschlecht etc.) ermittelten Koeffizienten zur Prognose eines POS-Erwartungswerts genutzt. Die Ergebnisse zeigen (jeweils bei Kontrolle aller anderen Merkmale), dass
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- die subjektiv wahrgenommene Lebensqualität mit dem Lebensalter sinkt,
- Frauen einen geringeren POS-Wert als Männer haben,
- beim Familienstand der Status „getrennt lebend“ einen Einfluss auf die Lebensqualität hat (im Vergleich zu ledigen Personen),
- die zunehmende Wohndauer in stationären Einrichtungen sich negativ auf die Lebensqualität auswirkt,
- im Durchschnitt der POS-Wert von Personen in Außenwohngruppen (stationäres Setting) höher ist als bei Personen in klassischen stationären Einrichtungen,
- Personen mit einer psychischen Erkrankung einen geringeren
- POS-Wert haben als Personen mit einer geistigen Behinderung.
Diese soziodemographischen und strukturellen Merkmale können, bezogen auf alle Klientinnen und Klienten, gut 20 % der Varianz der Lebensqualitätswerte erklären. Umgekehrt bedeutet dies aber auch: das Sozialwerk St. Georg kann durch seine Arbeit im Durchschnitt bis zu 80 % der Ausprägungen des POSWertes beeinflussen. „Bis zu“ bringt hier zum Ausdruck, dass es auch Faktoren gibt, die das Sozialwerk St. Georg nicht beeinflussen kann.
Das Ergebnis der Berechnungen zeigen zudem: Mit diesem Verfahren können die Lebensqualitätswerte auf individueller Ebene für etwa 25% der Klientinnen und Klienten sehr gut (akzeptierte Abweichung +/-3 Punkte) bzw. für 44% gut (akzeptierte Abweichung +/5 Punkte) vorher gesagt werden. Auf der Ebene von Einrichtungen und Wohngruppen liegt die Differenz zwischen individuell erwartetem und tatsächlichem POSWert bei mehr als der Hälfte der beobachteten Organisationseinheiten bei plus/minus zwei Lebensqualitätspunkten (Skala von 40 bis 140 Punkten).
Für das Wirkungscontrolling sind nun insbesondere jene Fälle von Interesse, bei denen der tatsächliche und der prognostizierte Lebensqualitätswert auseinanderfallen. Diese Differenzen gehen – so die vorläufige Hypothese – auf den Einfluss der Organisation oder individuelle Faktoren zurück und sind im Rahmen des Controlling weiter zu analysieren.
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Fazit
Es liegen inzwischen Instrumente vor, die sich erstens dafür eignen die nicht-monetäre Wirkung sozialer Organisationen sichtbar zu machen, zweitens Einflussfaktoren auf diese Wirkungen zu ermitteln und drittens die nicht-monetären Wirkungen mit Input-Faktoren in Beziehung zu setzen. Damit sind die Grundlagen für ein Wirkungsorientiertes Controlling gelegt, das auf verschiedene soziale Dienstleister übertragen werden kann. Organisationen, die dieses oder ein ähnliches Verfahren nutzen, können auch gegenüber dem Kostenträger die Umsetzung einer Wirkungsmessung bzw. eines Wirkungscontrollings nachweisen.
Vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten sozialrechtlichen und sozialpolitischen Entwicklungen in der Eingliederungshilfe, können soziale Organisationen mit Hilfe des wirkungsorientierten Controllings einen wirksamen und sparsamen Einsatz öffentlicher Mittel belegen und gleichzeitig die eigene Dienstleistungskonfiguration optimieren.
Quellen:
Halfar, B. (2010): Wirkungsorientiertes NPO-Controlling. International Group of Controlling (Hrsg.). Haufe Verlag. Freiburg, Berlin, München. Unter: www.haufe.de können Sie die Fachliteratur auch direkt bestellen.
Heider, K., Wagner, B. (2017): Wirkungen sichtbar machen – Lebensqualität und Handlungsspielräume von Werkstattbeschäftigten, in: Teilhabe 2/17, S. 76 -81
Moos, G., Konrad, M., Reichenbach, R. (2011): Wirkungscontrolling – Erfolg messbar machen. DGCS-Newsletter.
[1] Wagner/Heider 2017, 76ff.