Ein Beitrag zu den DGCS- Controlling-Standards „Kalkulationen“ und „Operative Steuerung“.
Die Gesetzesänderungen der letzten Jahre (insb. Pflegestärkungsgesetze, Pflegepersonalstärkungsgesetz, Novellierung der Investitionskostenrefinanzierung sowie neugefasster § 115 SGB XI) haben die Renditemodelle der stationären Pflege und zugleich die Rahmenbedingungen für Pflegesatzverhandlungen grundlegend verändert.
Mit der Einführung umfassender Nachweispflichten sowie der Möglichkeit von Regressforderungen gemäß § 115 SGB XI sind für viele Träger in der Altenhilfe die bisherigen Risikopuffer weggebrochen. Renditemodelle, die bei vielen Trägern auf strukturelle Überschüsse durch eine gezielte Personalkostenunterschreitung (Verhandlung von Personalkosten über den Ist-Kosten, Unterschreitung der Stellenschlüssel) ausgelegt waren, sind unter den aktuellen Voraussetzungen weniger denn je praktikabel. Vielmehr stellen sie ein erhebliches rechtliches sowie haftungstechnisches Risiko dar, das in schwerwiegenden Fällen sogar die Kündigung des Versorgungsvertrages zur Folge haben könnte.
Der kürzlich (aus Versehen?) veröffentlichte Entwurf „Eckpunkte der Pflegereform 2021“ des Bundesministerium für Gesundheit, und die darin enthaltene Information, dass der einrichtungsindividuelle Eigenanteil (EEE) zukünftig auf 700 € pro Monat gedeckelt werden soll, lässt erwarten, dass sich die Situation in Verhandlungen noch weiter zuspitzt, da die über den Deckelungsbetrag hinausgehenden Kosten, entsprechend dem von Professor Heinz Rothgang geforderten „Sockel-Spitze-Tausch“, nicht länger von den Leistungsempfängern, sondern durch die jeweilige Pflegekasse übernommen werden sollen. Mit jeder Verhandlung würden dann also nicht mehr die Kosten für die Pflegebedürftigen bzw. ihre Angehörigen, sondern die von den Pflegekassen zu tragenden Anteile steigen. Dementsprechend ist zu erwarten, dass die Pflegekassen zukünftige Verhandlungen noch engagierter führen bzw. mögliche Regressspielräume konsequenter nutzen.
Unter diesen Voraussetzungen kommt es bei Entgeltverhandlungen also mehr denn je darauf an, die eigenen Handlungsoptionen genau zu kennen und die tatsächlich vorhandenen Kosten in der Verhandlung durchzusetzen. Dies erfordert eine gründliche Vorbereitung und die konsequente Nutzung der Spielräume.
Damit die nächste Pflegesatzverhandlung trotzdem erfolgreich verläuft, sollten Sie die nachfolgend aufgeführten Grundregeln unbedingt berücksichtigen:
- Sorgen Sie in Ihrer Finanz- und Personalbuchhaltung für eine möglichst optimale Datenqualität, damit die Verhandlung auf einem soliden Fundament aufgebaut werden kann. Im Zweifelsfall sollte die Datenqualität schiedsstellenfest sein.
- Verhandeln Sie die Pflegesätze nach Möglichkeit jährlich, damit Kostensteigerungen zeitnah refinanziert werden und somit die Preissteigerungen für die Kunden in möglichst kleinen Schritten erfolgen und bezahlbar bleiben. Ob Sie dabei die oftmals von den Verhandlungspartnern angebotene Möglichkeit der pauschalen Fortschreibung nutzen oder in die Einzelverhandlung gehen, sollten Sie von individuellen Risikofaktoren, wie z. B. der Höhe der tatsächlich verhandelbaren Kostensteigerungen, der Wettbewerbssituation oder auch der Datenqualität, abhängig machen. Nicht in jedem Fall ist eine Einzelverhandlung der optimale Weg. Wenn z. B. vereinbarte Personalschlüssel und Durchschnittspersonalkosten nicht nachgewiesen werden können, drohen ein schlechteres Ergebnis als bei der pauschalen Erhöhung, eine Absenkung der bestehenden Entgelte oder schlimmstenfalls Rückforderungsansprüche seitens der Verhandlungspartner.
- Zugleich ist bei vielen Trägern jedoch bei der pauschalen Fortschreibung das „Ende der Fahnenstange“ erreicht. Bei tarifgebundenen Trägern liegen die Tarifsteigerungen der letzten Jahre in Verbindung mit den Stufensteigerungen in der Summe deutlich über den pauschalen Steigerungssätzen, so dass hier kein Spielraum besteht. Bei vielen nicht tarifgebundenen Trägern steht zunehmend die freiwillige Einführung von höheren oder tariflichen Vergütungen auf der Agenda. Dies ist nur auf dem Wege von Einzelverhandlungen wirtschaftlich umsetzbar.
- Sollte zukünftig die o. g. Deckelung des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils tatsächlich zum Tragen kommen, und ein weiterer Punkt des Entwurfs „Eckpunkte der Pflegereform 2021“, nämlich die zukünftige Zulassung zu Versorgungsverträgen an die Voraussetzung der Zahlung von tariflichen Gehältern zu koppeln, realisiert werden, verliert der im Vorfeld von Verhandlungen durchzuführende Vergleich mit anderen Mitbewerbern, und somit der Durchsetzbarkeit höherer Preise auf dem Markt, an Relevanz. Erschwerend käme aber ein erhöhtes Interesse der Verhandlungspartner, die Verhandlungsergebnisse und somit den einrichtungseinheitlichen Anteil übersteigenden Betrag auf einem möglichst niedrigen Niveau zu halten, hinzu.
- Legen Sie Ihrem Antrag eine Belegungsstruktur zu Grunde, die zukünftige Entwicklungen realistisch abbildet und die mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichbar ist, denn bei Unterschreitung der verhandelten Struktur müssen Sie Ihre Personalmengen entsprechend reduzieren. Sollten Sie diese Anpassungen nicht unmittelbar vornehmen oder vornehmen können, entsteht durch die zu hohe Personalausstattung und die damit verbundenen Kosten ein Defizit. Der Soll-Ist-Abgleich im Bereich des Pflegepersonals ist eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente in der stationären Pflege. Dies wird alleine dadurch verdeutlicht, dass die Kosten für Fach- und Hilfskräfte in der Pflege mittlerweile in nahezu jeder Organisation mehr als fünfzig Prozent der Gesamtkosten ausmachen.
- Der größte Kostenblock einer Verhandlung sind die Personalkosten. Legen Sie Ihren Fokus in der Vorbereitung auf eine saubere Herleitung, die auch dezidierten Nachweisforderungen durch die Verhandlungspartner standhält. Dies klingt einfacher als es tatsächlich ist, denn bei den von uns begleiteten Pflegesatzverhandlungen stellen wir regelmäßig Fehler fest, die sich bei den prospektiven Personalkosten auch auf sechsstellige Beträge (!) summieren können. Vergessen Sie dabei nicht, auch übergeordnete Personalkosten (wie z. B. sonstige Personalkosten), Überstunden sowie Kosten für den Einsatz von externen Dienstleistern anzusetzen und sie somit sauber zu refinanzieren. Zudem sollten Sie bei der Planung des Personalkostenbereichs „sinnvoll kreativ“ sein, indem Sie z. B. Leitungsanteile variabilisieren oder durch eine „Pool-Lösung“ die Gesamtpersonalmenge besser, aber auch nachweissicher auf die unterschiedlichen Bereiche verteilen.
- Im Bereich der Sachkosten berufen sich die Verhandlungspartner meist auf den externen Vergleich. Versuchen Sie trotzdem Ihre tatsächlich vorhanden Kosten zu verhandeln und scheuen Sie sich nicht diese durchzusetzen, indem Sie sie durch Nachweise belegen. Dabei sollten Sie jedoch unbedingt darauf achten, dass die von Ihnen geforderten Kosten wirtschaftlich und angemessen sind. Sind sie es nachweislich nicht, fordern die Verhandlungspartner mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Optimierung der Kostenstrukturen und setzen dann ihre Benchmark-Werte durch. Hier wird jedoch auch oft geblufft. Die Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit von Kosten kann z. B. durch eigene Benchmark-Werte, externe Gutachten oder auch durch die Erläuterung von Besonderheiten einer Einrichtung verdeutlicht werden: Die Energiekosten in einem Altbau, dessen Wärmedämmung nicht heutigen Standards entspricht, können beispielsweise deutlich von der Benchmark der Verhandlungspartner abweichen, aber trotzdem in sich stimmig und durchsetzbar sein.
- Gerade bei größeren Trägern erscheint es auch sinnvoll, im Vorfeld der Pflegesatzverhandlungen auch die internen Verrechnungssystematik für zentralisierte Dienstleistungen neu zu strukturieren. Während pauschale Overheadumlagen von den Kostenträgern gern mit einem Hinweis auf Unwirtschaftlichkeit vom Tisch gewischt werden, sind differenzierte Verrechnungen von Reparaturen bei einem zentralen Hausmeisterdienst oder für die Begleitung von Baumaßnahmen gesondert über die Investitionskosten refinanzierbar oder Leistungen in den Bereichen QM und Hygiene zu Lasten der Stellenschlüssel darstellbar. Ebenso sollten bei den Leitungskosten nicht nur die Kosten der Einrichtungsleitung sondern auch anteilige Kosten der Overheadbereiche umgesetzt werden, etwa in Form höherer Durchschnittspersonalkosten der Leitung. Zugleich müssen die zentralen und dezentralen Stellenanteile genau austariert werden.
- Auch wenn das Thema weiterhin zwischen den Vertragsparteien strittig ist und die Auslegung der jüngsten Rechtsprechung regional stark variiert: Beantragen Sie unbedingt den Risikozuschlag! Setzen Sie diesen jedoch nicht pauschal an, sondern leiten Sie diesen kalkulatorisch her, indem Sie einzelne Risikopositionen unterbauen und einpreisen. Das individuelle Risiko ermitteln Sie dabei beispielsweise indem Sie einen nachweisbaren Bezugswert (Realwert) mit einer quantifizierten Abschätzung der Risikoauswirkung in der Zukunft (Prospektivitätsfaktor) bewerten. Sind z. B. im abgeschlossenen Geschäftsjahr Erlösausfälle i. H. v. 25.000 € (Realwert) durch einen Belegungsstopp in Folge von Personalmangel angefallen, müssen Sie nun bewerten und plausibel herleiten, welches Risiko daraus für den prospektiven Zeitraum abzuleiten ist. Unter den heutigen Voraussetzungen ist der Risikozuschlag eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten – wenn nicht sogar die einzige – um eine Rendite erzielen zu können.
Der Erfolg der nächsten Verhandlung beginnt bereits direkt nach Abschluss der aktuellen: Nutzen Sie unbedingt die in der Verhandlung vereinbarten Werte als Soll-Vorgaben für Ihr Controlling und passen Sie es nach Möglichkeit der Struktur des für Sie gültigen Antragsschemas an. So sind die einzelnen Positionen auch unterjährig besser nachprüfbar und steuerbar.
Insbesondere die im Personalkostenbereich verhandelten Personalmengen sowie Durchschnittskosten müssen unbedingt belegungsabhängig auch in der Praxis eingehalten werden, damit der Nachweis in der nächsten Verhandlung sauber geführt werden kann und somit Regressforderungen von vorneherein ausgeschlossen werden können.
Dabei spielt die Belegungsstruktur eine wichtige Rolle: Steuern Sie diese deshalb zielgerichtet, entsprechend der verhandelten Parameter, und passen Sie den an die Belegungsstruktur gebundenen Personaleinsatz im Bereich des Pflegepersonals immer zeitnah an. In der Praxis empfehlen wir Ihnen, die vorzuhaltende Personalmenge täglich – entsprechend der vorhandenen Belegungsstruktur – zu ermitteln und diese mit dem tatsächlich vorhandenen Personal, mittels eines Soll-Ist-Abgleichs, zu überprüfen. So können Sie täglich nachverfolgen, ob ausreichend, zu viel oder zu wenig Personal vorhanden ist und hierauf reagieren. Die Grundlagen für diese Steuerung sind die sogenannte „Nettobasierte Dienstplanung“ sowie flexible Elemente der Personaleinsatzplanung, die zumeist durch Betriebsvereinbarungen abzusichern sind.
Die Vor- und Nachbereitung und die Durchführung einer Pflegesatzverhandlung sowie eine rechtskonforme operative Personalsteuerung erfordert immer spezialisierteres Wissen und hochprofessionelle Strukturen im Bereich Controlling, Kostenrechnung und Personal. Ebenso gilt es, die Personalbemessungen in den administrativen und Leitungsbereichen sowie die internen Verrechnungen bei komplexen Trägern neu zu strukturieren. Für die langfristige Sicherung positiver Erträge in der stationären Altenpflege müssen diese Grundlagen kurzfristig aufgebaut werden.
Die Autoren:
- Daniel Beckers (Diplom-Betriebswirt, Seniorberater bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH), E-Mail: beckers@rosenbaum-nagy.de.
- Kip Sloane (MBA, Seniorberater bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH), E-Mail: sloane@rosenbaum-nagy.de
- Attila Nagy (Diplom-Volkswirt, Arzt, Geschäftsführender Partner bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH), E-Mail: nagy@rosenbaum-nagy.de.
- Weitere Informationen zur rosenbaum nagy unternehmensberatung finden Sie unter: www.rosenbaum-nagy.de.
